Derjenige, der den Böhmerwald verstand

Sowohl die Familie seines Vaters als auch die seiner Mutter kamen im 17. Jahrhundert aus Westeuropa in den Böhmerwald, aber Karel Klostermann wurde nicht im Böhmerwald geboren und lebte die meiste Zeit seines Lebens nicht dort. Dennoch liebte er den Böhmerwald: Er verbrachte viele Jahre seiner Jugend hier und immer wieder kam er hierher. Er erkannte ihn als einen Ort seiner Freiheit, des Abenteuers. Er erkannte den Böhmerwald auch aus den Erzählungen seines Vaters.

Deutsch war die Sprache des Böhmerwaldes dieser Zeit und seine  Muttersprache. Aber als Klostermann seinen ersten Roman Aus der Welt der Waldeinsamkeiten auf Tschechisch schrieb, war er ein großer Erfolg. Er schlug eine Brücke zwischen tschechischen Lesern und dem Leben in den deutschsprachigen Gebieten des Böhmerwaldes, das für sie — dank der Darstellung wilder Natur, einer bestimmten Lebensweise und Abenteuergeschichten — exotisch erscheinen musste.


Was er einfangen wollte

In seinen Romanen und Erzählungen versuchte Karel Klostermann, etwas so schwer zu Beschreibendes wie das Aussterben einer bestimmten Lebensweise eines schmalen Landstreifens zu bewahren, der sowohl auf bayerischer als auch auf tschechischer Seite deutlich von der weicheren Landschaft getrennt war - den Untergang der Kultur der Bergbauern, einer Kultur, die mit instinktiver Weisheit und Ethik vo mit dem Leben in den Wäldern verbunden war.

Karel Klostermann wusste, dass diese Kultur im 20. Jahrhundert nicht lange überleben konnte. Er war Zeuge der Zerstörung der natürlichen Umwelt, des Eindringens der Zivilisation in abgelegene Gebiete und der raschen Besiedlung der Landschaft.

Warum man noch immer Klostermann lesen könnte

In Alten Tschechischen Sagen, in seinem bekanntesten und und am meisten gelesenen Werk, beschreibt Klostermanns Zeitgenosse, Alois Jirásek, das Bild der tschechischen Heimat als eine vom Wald geprägte Wildnis. In der Mitte Europas tragen wir alle das gleiche Bild unseres Landes in unseren Köpfen. Es ist ein gemeinsamer Kodex der Mitte, den wir unbewusst irgendwann bekräftigen müssen.
Karel Klostermann beschreibt den Böhmerwald auf die gleiche Weise.

Der Tod, der Zusammenbruch der alten Welt, steht im Mittelpunkt von Klostermanns Böhmerwald-Mythos. Der Zusammenbruch einer wilden Wunderwelt, in der trotzdem noch  Ordnung herrscht. Klostermanns sterbender Böhmerwald ist das Gesicht des ursprünglichen Paradieses — der Kindheit der Menschheit —, aus dem wir verbannt sind.
Lesen wir deshalb immer noch Karl Klostermann?
Weil die erhabene Schönheit von Tod und Sterben, die Nostalgie nach einem verlorenen Paradies, in den meisten von uns steckt, die bereits etwas Liebes verloren haben: Kindheit, Jugend, einen geliebten Menschen, ein Zuhause, den Glauben, dass sich alles zum Guten wenden wird. Deshalb brauchen wir Literatur, um die Angst vor dem Ende, die wir ins Unterbewusstsein zu drängen versuchen, zu erfahren, zu verstehen und abzulegen.